Jewgeni Stepanowitsch Kobytew: Das Gesicht eines Soldaten nach vier Jahren Krieg, 1941–1945
Jewgeni Stepanowitsch Kobytew: Das menschliche Gesicht nach vier Jahren Krieg.
Diese beiden Bilder werden im Andrei-Posdejew-Museum nebeneinander ausgestellt. Die Bildunterschrift lautet: „(Links) Der Kunstler Eugen Stepanowitsch Kobytew am Tag seines Einsatzes an der Front 1941. (Rechts) 1945 nach seiner Ruckkehr.“ Dies ist das menschliche Gesicht nach vier Jahren Krieg. Das erste Bild blickt Sie an, das zweite durch Sie hindurch.
1941 war er ein junger Mann, der bereit war, sein kreatives Leben als Kunstler zu beginnen, als Deutschland die Sowjetunion angriff und er zur Armee eintreten musste. Vier Jahre später ist der Unterschied in seinem Gesicht bemerkenswert.
Ein schmales und mudes Gesicht, tiefe Falten, ein besorgter Blick – dieser Mann war völlig verändert, nachdem er vier Jahre lang einen Krieg ohne Regeln an der Ostfront miterlebt hatte.
Jewgeni Stepanowitsch Kobytew wurde am 25. Dezember 1910 im Dorf Altai geboren. Nach dem Abschluss der Pädagogischen Schule arbeitete er als Lehrer in den ländlichen Gebieten von Krasnojarsk.
Seine Leidenschaft galt der Malerei, insbesondere von Porträts und Panoramen aus dem täglichen Leben. Der Traum von einer höheren kunstlerischen Ausbildung erfullte sich 1936, als er ein Studium am Staatlichen Kunstinstitut Kiew in der Ukraine begann.
1941 schloss er sein Kunststudium mit Auszeichnung ab und war bereit fur ein neues kunstlerisches Leben. Doch all seine Träume wurden am 22. Juni 1941 zerstört, als Nazi-Deutschland die Sowjetunion angriff.
Der neue Kunstler wurde freiwillig Soldat und meldete sich bei einem der Artillerieregimente der Roten Armee. Das Regiment war in einen erbitterten Kampf verwickelt, um die kleine Stadt Pripyat zwischen Kiew und Charkiw zu verteidigen.
Im September 1941 wurde Kobytov am Bein verwundet und geriet in Kriegsgefangenschaft.
Er landete in einem beruchtigten deutschen Konzentrationslager in Chorol, der sogenannten „Khorol-Grube“ (Dulag Nr. 160). In diesem Lager starben etwa 90.000 Kriegsgefangene und Zivilisten.
Das Lager Chorol wurde auf dem Gelände einer ehemaligen Ziegelei errichtet und verfugte nur uber eine einzige, halb verfallene Baracke auf schiefen Pfählen. Sie bot den einzigen Schutz vor den Herbstregen und Sturmen.
Nur wenige der sechzigtausend Gefangenen konnten sich dort hineinzwängen. Der Rest hatte keine Baracken. In den Baracken standen die Menschen dicht an dicht. Sie keuchten vor Gestank und Dunst und waren schweißgebadet.
1943 gelang es Kobytew, aus der Gefangenschaft zu fliehen und sich erneut der Roten Armee anzuschließen. Er nahm an verschiedenen Militäroperationen in der Ukraine, Moldawien, Polen und Deutschland teil.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde ihm fur seine hervorragenden Militärdienste während der Kämpfe zur Befreiung von Smila und Korsun in der Ukraine die Medaille „Held der Sowjetunion“ verliehen.
Das Oberkommando weigerte sich jedoch, ihm die Medaille „Sieg uber Deutschland“ zu verleihen, da seine militärische Karriere durch die Kriegsgefangenschaft „befleckt“ sei.
Jewgeni Stepanowitsch Kobytew in den 1960er Jahren.
In der Nachkriegszeit wurde Jewgeni Stepanowitsch Kobytew zum Abgeordneten seines Stadtrats gewählt und war fur die kulturellen Aktivitäten der Region verantwortlich. Er starb 1973.
Daruber hinaus stellte er seine Werke aus, insbesondere an den Orten, an denen er einst Gefangener, Fluchtling und Soldat war, und ermöglichte es den Einheimischen, sich selbst, aber auch ihre Peiniger in seinen Bildern wiederzuerkennen.
Der tausend Meter lange Blick
Wenn Sie uber Kriege und ihre Auswirkungen auf Soldaten lesen, ist Ihnen möglicherweise versehentlich der „Thousand Yard Stare“ aufgefallen.
In vielen Fällen ist es das erste Anzeichen einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Laut Oxford Dictionary ist dies „ein leerer oder unkonzentrierter Blick in die Ferne, der als charakteristisch fur einen kriegsmuden oder traumatisierten Soldaten gilt“.
Der Ausdruck stammt von der Veröffentlichung eines Gemäldes des Time Magazine mit dem Titel „Marines Call It That 2,000 Yard Stare“ des Kunstlers und Korrespondenten Tom Lea aus dem Zweiten Weltkrieg, obwohl es nicht explizit so genannt wurde. Das Gemälde zeigt ein Porträt eines Marinesoldaten aus dem Jahr 1944 in der Schlacht von Peleliu in Palau (Pazifik).
Die auffälligsten Anzeichen bei einer Person, die an PTBS leidet, sind Introversion und Freudlosigkeit.
Dieser Zustand ist durch häufige, unerwunschte Erinnerungen gekennzeichnet, die das auslösende Ereignis immer wieder abspielen. Menschen mit diesem Syndrom sind nicht in der Lage, Freude an Dingen zu empfinden, die ihnen fruher Spaß gemacht haben.
Sie meiden die Gesellschaft anderer und werden insgesamt passiver als zuvor. Sie möchten alles vermeiden, was Erinnerungen an das traumatische Ereignis auslösen könnte.
Eine Person mit PTBS kann aus einem Gespräch herausdriften und distanziert und zuruckgezogen wirken. Unter Soldaten ist dies als „Tausend-Meter-Blick“ bekannt. Dies ist ein Zeichen dafur, dass unangenehme Erinnerungen zuruckgekehrt sind und sie heimsuchen.
Kunstwerk von Evgeny Stepanovich Kobytev
Nach dem Krieg wurde Kobytev wieder Kunstlehrer. Wie bei den meisten, die wie er litten, wurde auch sein restliches Leben vom Krieg geprägt.
Er litt unter Albträumen und wachte nachts schreiend auf. Doch seine Kunst half ihm, und schließlich schrieb er ein Buch uber seine Erfahrungen als Kriegsgefangener und Soldat.
„Lesen Sie dieses Buch in schwierigen Momenten des Lebens“ (die Inschrift auf der Titelseite des Buches „Khorolskaya Yama“ von ES Kobytev, gerichtet an ihre Tochter Vera Kobyteva).
Autoporträt.